„Flugscham“ oder dürfen wir aus Nachhaltigkeitsgründen nicht mehr mit dem Flugzeug verreisen? – Kolumne

Eine ganzheitliche Betrachtung
Autor: Prof. Lutz Michael Büchner

Es gibt Routen, die muss man nicht fliegen“(Stefan Schulte, Präsident des Flughafenverbandes ADV und des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport AG)

„Die Debatte über die Flugscham hielt ich anfangs für lächerlich. Heute glaube ich, dass sie uns weiterbringt, weil sie der Politik signalisiert, dass eine Flugticketabgabe gesellschaftlich akzeptiert ist (Urs Bruderer Essay in REPUBLIK)

Von wegen Flugscham –Im Sommer wird es wieder voll an deutschen Flughäfen. Fliegen sollte nichts sein, wofür man sich schämt. Es muss nur teurer werden.(Sonja Salzburger)

Die Frage nach dem klimaschädlichsten Transportmittel ist einfach zu beantworten, es ist das Flugzeug. Trotz des miserablen ökologischen Fußabdrucks, den das Fliegen hinterlässt, muss man darüber nachdenken, was ein unbedingtes, konsequentes Nicht-Fliegen bedeuten würde. Nachhaltiges Denken und Handeln in diesem Zusammenhang darf nicht alleine auf die Ökologie, also den CO2 Ausstoß reduziert werden.

Inlandsflüge sind ebenso unnötig wie viele Flüge allein innerhalb Europas wie beispielsweise nach Brüssel, Zürich oder Paris. Die Bahn ist in all diesen Fällen eine wichtige und richtige Alternative, die es allerdings deutlich zu verbessern gilt. Selbst das Kfz (Benzin/Diesel) ist, vor allem mit mehreren Personen besetzt, umweltfreundlicher. Grundsätzlich sind Flugreisen unter 1000 km verzichtbar.

Im Kern geht es dabei um Fragen wie: muss für ein 2-stündiges Meeting nach London geflogen werden? Muss man Business und First Class bei überschaubaren Entfernungen fliegen? Darf ich im Urlaub auf die Kanarischen Inseln oder nach Kreta fliegen? Bleiben Urlaubsziele in Afrika, Asien, Südamerika oder USA tabu?

Die Fragestellungen machen deutlich, dass es für das Problem der Flugscham keine einfache Antwort gibt. Seit der Pandemie waren die Kurzzeittrips zu Geschäftstreffen zurückgegangen. Sie nehmen jetzt aber wieder kräftig zu. Muss das sein? Onlineportale bieten derart ausgereifte Möglichkeiten der Kommunikation an, so dass häufig auf das Reisen verzichtet werden kann. Man muss sich fragen, warum die entsendenden Unternehmen nicht noch häufiger von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Auch die Nutzung der Business und First Class erhöht den CO2 Ausstoß des Fliegens beträchtlich. Die Reiserichtlinien vieler Unternehmen sollten diesbezüglich dringend überarbeitet werden.

Von der Menge her machen Urlaubsreisen aber wohl den Hauptanteil der Flüge weltweit aus. Stellt sich also die Frage: was wären die wirtschaftlichen Folgen z.B. für die Kanaren, wenn die mitteleuropäischen Touristen fernblieben? Was wären die Folgen für die Touristenindustrie auf dem spanischen Festland, in Portugal, in Griechenland und anderswo? Jeder vierte Bewohner der Kanaren arbeitet im Tourismus, 36 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden in diesem Wirtschaftszweig erwirtschaftet.

Auch für Spanien insgesamt spielt der Tourismus mit einem BIP-Anteil von immerhin 12,8 % eine wichtige Rolle. In Griechenland sind es 20 %. Sind dies Argumente für urlaubsbedingtes Fliegen? Verbunden mit den Interessen der Tourismusindustrie wohl eher schon.

Eine ähnliche Lanze gilt es für Reisen in nichteuropäische Länder zu brechen. Unter sozialen und kulturellen Gesichtspunkten (z.B. der Bildung) sind derartige Fernreisen nicht nur für die Reisenden als Gäste sondern insbesondere auch für die Gastgeber von großem, vor allem auch wirtschaftlichem Interesse, womit wir wieder bei der ganzheitlichen Betrachtungsweise wären.

Wie soll man sinnvoll diese Destinationen anders erreichen als mit dem Flugzeug? Oder werden diese Länder vom Tourismus abgeschnitten oder nur für Kreuzfahrtschiffe erreichbar? Eine absurde Vorstellung, die zu einer Neudefinition der Globalisierung führt? Nachhaltigkeit beinhaltet nicht nur die ökologischen Folgen unseres Handelns sondern auch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen des Nichthandelns. Also kommt es auf Gesamtbetrachtung an: Ein „no go“ sind sicherlich Wochenendtrips nach Mallorca, Einkaufswochenenden in London oder New York. Urlaube von 2 Wochen im Süden rechtfertigen dagegen – in der Gesamtschau – eine Flugreise.

Was kann man gegen die negativen ökologischen Folgen des Fliegens tun? Die Einführung einer Kerosinsteuer würde sicherlich zu einer wünschenswerten Verteuerung der Flugreisen führen (das müsste aber weltweit erfolgen). Eine Ticketsteuer würde ebenso den leichtfertigen Umgang zu Flugreisen beeinflussen. Die freiwilligen Kompensationsabgaben für Flüge sind zwar gut fürs Gewissen, führen aber insgesamt nicht zu einer merklichen  Verbesserung der Situation.

Außen vor bleiben oft Überlegungen zum Frachtverkehr: Rosen aus Kenia, Avocados aus Mexiko, Heidelbeeren aus Chile, Peru oder Marokko. Wer möchte hierzulande darauf verzichten. Der ökologische Fußabdruck für diese auf dem Luftweg zu uns kommenden Produkte sehr bedenklich. Und trotzdem sind das Ausprägungen der Globalisierung.

Ein wesentlicher Grund für den schlechten ökologischen Fußabdruck von Flugreisen sind aber die Flugzeuge selbst. Es kommt auf die jeweilige Fluggesellschaft an, wie groß sich (in geringem Umfang), der CO2 Ausstoß darstellt. Zwar wird intensive Forschung für die Verbesserung der Techniken betrieben. Kurzfristig sind aber keine markanten Verbesserungen in Sicht. In der Debatte um die Schädlichkeit des Luftverkehrs darf nicht vergessen werden, dass die erforderliche Infrastruktur immens ist (s. Terminal 3 in Frankfurt) und dass die Lärmbelästigung für die Bevölkerung durch den Flugverkehr erheblich ist.

Laut einer aktuellen Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB) lässt sich„eine vollständig klimaneutrale Luftfahrt ohne eine Kompensation der Emissionen, eine Entnahme von Kohlendioxid /CO2) aus der Atmosphäre sowie eine Vermeidung von Flügen beziehungsweise eine Verlagerung von Flügen auf andere Verkehrsmittel nicht erreichen“

Zusammenfassend bleibt zu sagen, Flugverbote würden nichtökologische Folgen nach sich ziehen, die heute noch gar nicht absehbar sind.  Forscher sprechen von einer „Flugbewusstseinsphase“, die zunehmend eintreten wird. Man fliegt nur noch mit einem schlechten Gewissen, wohin auch immer. Ob Kompensationszahlung das schlechte Gewissen beruhigt? Ein schlechtes Gewissen müsste man aber auch dann haben, wenn man mit dem Flugzeug herangeschaffte Lebensmittel auf dem Teller hat. Also doch eine aktive und passive „Flugscham“? Darüber lässt sich trefflich diskutieren.